Horizont – Die Geschichte von M. & den Cosmopunxx
Photostory
Alle Kayados nahmen demonstrativ ihre LOBAs ab und legten es vor sich auf den Boden. Keine Angst vor Gefühlen, keine Angst vor dem Schmerz des Abschieds, sie nahmen sich das Recht auf Freiheit, auf Tränen.
Eine Minute später war wieder einmal die Hölle los auf der Homebase. Von zehn Wächtern und zwei Medical Servants umringt, war vorerst Schluss mit lustig. Alhidesha tauchte gerade auf, und sofort stürmten die Medical Servants in ihren Schutzanzügen hektisch auf ihn zu.
Nur bei M. rührte sich nichts. Ein Roboterarm fuhr aus und injizierte ein Serum in die Halsschlagader. Der Gesichtsausdruck von Alhidesha und Molxtrovi ließ nichts Gutes vermuten. Noch immer keine Regung. Wieder fuhren Roboterarme aus, diesmal mit großflächigen Elektroden bestückt, die auf die Brust aufgesetzt wurden. Das Adrenalin begann zu wirken, das Gehirn nahm seine Arbeit auf und zog einen Erinnerungsfetzen nach dem anderen an M.s geistigem Auge vorbei.
Vor langer Zeit, als der Planet seinen ökologischen Kollaps erlitt, gab es noch interne Feinde, die Tiaavulus. Das war eine Gruppe von Abtrünnigen, die zu Gesetzlosen degradiert wurden. Sie bildeten eine Parallelgesellschaft, die sich dem Kontrollwahn verweigerte und einen Gegenpol zu den Kayados darstellte. Sie wurden ausgegrenzt und später isoliert. In den weitläufigen unterirdischen Anlagen alter Industrieanlagen fanden sie schließlich ihr Rückzugsgebiet. Den ökologischen Kollaps des Planeten überlebten die Tiaavulus nicht.
Auch die Bilder von damals, die ihn immer wieder so sehr quälten, wenn sie nahezu lautlos und in Zeitlupe an ihm vorüberzogen wie eine feierliche Prozession. Die Rose, die sich langsam drehend in die Tiefe stürzte zu seiner Mutter ins Grab. Das eintönige Gemurmel der Trauergäste. Und sein Vater, der verstohlen auf die Uhr blickte. Dann das schwere dunkle Eingangstor, das krachend in die Falle fiel, ihm den letzten Blick auf Shirin raubte. Er starrte auf das große Tor, minutenlang, bis die unerträglich schweren Gefühlsbrocken zerbarsten und langsam anfingen aus ihm herauszurieseln. Früher hatte er Angst vor diesen Bildern, diesen Alpträumen, aus denen er schweißgebadet und um sich schlagend aufwachte.
Um 23:58 Uhr setzte mit einem tieffrequenten Röhren das hellblaue Licht der Triebwerke ein. Zuerst langsam schwebend hob das Raumschiff vom Boden ab. Fritz und Maria spürten, wie der Boden unter ihnen zu vibrieren begann. Alles um sie herum war plötzlich in ein seltsames, helles Licht gehüllt. Als das Raumschiff etwa 30 Meter über dem Boden war, schoss es mit einem kurzen lauten Zischen nach oben und war wenige Sekunden später verschwunden. „Mach‘s gut, mein Junge!“, rief Fritz hinterher. „Und lass jeden Abend einen Stern für uns blinken!“, fügte Maria leise hinzu. Einander fest umarmend und mit Tränen in den Augen schauten die beiden noch lange in den Abendhimmel. „Vielleicht ist es die Angst vor dem Abschied, die so viele Menschen daran hindert, die Liebe in ihr Herz zu lassen“, sagte Maria. „Ganz sicher sogar. Aber wer nicht den Mut hat, das auf sich zu nehmen, der hat sie auch nicht verdient“, antwortete Fritz und ging als erster wieder zurück ins Haus.